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Elektra

Richard Strauss’ Meisterwerk in einer Neuinszenierung des Stadttheaters Bozen unter der musikalischen Leitung von Gustav Kuhn und mit der Regie von Manfred Schweigkofler. Mit Elektra, Tragödie in einem Akt nach Sofokles, beginnt die Zusammenarbeit zwischen Strauss und Hugo von Hofmannsthal Der Gedanke der Restauration zieht sich wie ein Leitmotiv durch die Inszenierung. Ein leuchtend blaues Metallgerüst, bewegliche Strukturen und ein von kühlen Farben dominiertes Bühnenbild bilden den Rahmen der dramatischen Geschehnisse und bringen die Figuren in einen aktuellen Kontext. Das mit mehr als 100 Elementen besetzte Orchester ist auf der Bühne positioniert und wird so Teil der Inszenierung. 


Regie / Regia / Director
Manfred Schweigkofler


Dirigent / Direttore d'orchestra / Conductor
Gustav Kuhn


Konzept Bühnenbild / Concetto scenografico / Set concept
Hans-Martin Scholder


Bühnenbild / Scene / Set design
Michele Olcese


Kostüme / Costumi / Costume design
Violeta Nevenova


Orchester / Orchestra / Orchestra
Haydnorchester von Bozen und Trient/ Orchestra Haydn di Bolzano e Trento
Orchestra Regionale dell'Emilia Romagna


Chor / Coro / Choir
Coro del Teatro Municipale di Piacenza


Sänger/ cast vocale/ singers
Anna Katharina Behnke, Elena Popovskaya (Elektra) / Anna Maria Chiuri, Mihaela Binder-Ungereanu (Klytämnestra) / Michela Sburlati, Maida Hundeling (Chrysothemis)/ Richard Decker (Aegisth)/ Thomas Gazheli, Wieland Satter (Orest)


Regieanmerkungen

Elektra von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss ist ein neurotisches Kammerspiel inmitten einer großen Revolution. Die Oper ist fokussiert auf intime Momente, die in und während großer Weltgeschichte passieren. Das Intime geschieht Innen, während Draußen die blutige Revolution vor sich geht und weiterläuft und weiterläuft (bis über das Ende der „Elektra" hinaus). In Elektra gibt es das Drinnen und das Draußen, aber auch das Oben und das Unten.

Oben ist der Hofstaat, die Macht, das Zeremoniell, der Pomp; Unten ist der Hades, die Vision und die Nähe zum Tod. Elektra ist ein „großes" Stück, weil es musikalisch wuchtig ist und Weltgeschichte dekliniert. Aber Elektra ist kein großes Stück, wenn man es räumlich betrachtet. Da wird Elektra sehr, sehr klein: „Enge, Unentfliehbarkeit, Abgeschlossenheit", das verlangte Hofmannsthal vom Elektra-Bühnenbild. Wohnzimmeratmosphäre, Small Talk Ebenen, Kleinbürgergerangel am Königlichen Hof, das ist unsere Geschichte. Ein eiskalter, spannender Krimi in einer noblen, feinen Familie.

Aber immer dann, wenn die Geschichte klein und intim wird, darf man nicht vergessen, dass „Draußen" das Morden weitergeht. Fast kann man das Entsorgen der Leichen und die Todesschreie hören, fast kann man das Blut der Revolution riechen, das zwischen den Ritzen des Hofstaates hindurchtrieft.

Die Folgen der Revolution, des Staatsstreichs sind unübersehbar. Eine zerstörte Stadt, ein ruinierter und ruinöser Hof. Und wie die „Times" vor einige Wochen schrieb, der Zustand der Zerstörung im Erdbebengebiet von l´Aquila sei das äquivalente Bild zum moralischen Zustand der italienischen Regierung, so sind die Figuren der Elektra parallel zum zerstörten Ambiente psychische Trümmerfelder ihrer selbst.

Das Land ist von Mord und Totschlag, von Familienfehden und Intrigen, von Hass und Rebellion zerbombt, zerschlagen. Das Morden geht hinter den Kulissen weiter, es ist nicht gestoppt worden. Mit Agamemnons Tod ist keine politische Ruhe eingekehrt, das Schlachten geht weiter. Die Revolution frisst ihre Kinder weiter, auch wenn nach außen hin schon wieder gebaut und wiederhergestellt wird.

Man kann nie fertig werden, es rinnt immer wieder neues Blut nach. Auch Orest wird - einmal an der Macht – weiterschlachten, die Spirale der Rache wird nicht aufhören. Die Oper endet mit „Orest, Orest" und hatte begonnen mit „Agamemnon".

Eifrig wird an der Wiederherstellung der alten Ordnung gearbeitet.

Deshalb wähle ich als Leitmotiv der Inszenierung den Gedanken der Restauration. Es wird geputzt am Hof, die Springbrunnen werden instandgesetzt. Aber auch die Figuren arbeiten an der Wiederherstellung eines vergangenen, scheinbar idyllischen Zustandes. Sie wollen – und das macht sie sehr modern - zurück in eine Idylle, die es nicht mehr gibt.

Dieses Streben der Figuren nach einem Zustand, wie er früher einmal war, macht sie sehr modern und heutig. In unsere Krise führen die Bemühungen aus dieser heraus zu kommen, nur wieder zur Frage, wie man so schnell als möglich wieder den Zustand ante herstellen könnte. Man sucht nicht nach neuen Zielen, Destinationen. Die Krise ist eine Chance zur Veränderung, nicht zur Wiederherstellung von dem, was ohnehin zum Scheitern geführt hat.

Die Schatten der Vergangenheit, die wie dunkle Wolken über dem ganzen Stück aufziehen, sind stärker als die Visionen einer möglichen Zukunft.

Es sind rückwärtsgewandte Idyllen. Das christliche Konzept der Vergebung, das als einziges einen Ausweg wüsste, gibt es noch nicht und muss erst noch erfunden werden.

Daran kranken die Figuren der Elektra. Sie kreisen um sich selber, um ihr eigenes Problem, um ihre Neurose. Der andere wird nur wahrgenommen, insofern er helfen könnte, das eigene Problem zu lösen. Die Angst lähmt sie. Und deshalb sind alle Mittel recht, die Angst zu töten. Bei Klytämnestra ist dieser Angst-Mix klar zu erkennen. Sie, deren Tochter Iphigenie man geopfert hat, die voller Panik eine mögliche Wiederauftauchen von Orest befürchtet, die gehasst wird am Hof, unterliegt nicht zuletzt auch der Frage von Schuld und Gericht: sie fürchtet das moralische Urteil ihrer Tat durch Elektra, und das tatsächliche Urteil - ihre eigene Ermordung - durch Orest. Nicht nur für sich als Mensch, sondern für sich als Herrscherin. Deshalb hat sie ein Terror-Regime installiert. Sie ist misstrauisch, sie ist auch eifersüchtig, auf ihre Vertraute, auf Elektra. Sie schleppt ein Urmisstrauen mit sich herum. Nach außen hin wahrt sie den Schein, flüchtet in Schönheit, Aufgeblasenheit, Wellness, Haute-Couture, Parties und Events. Aber innen scheint die Panik durch, verlassen zu werden. Sie toleriert die Eskapaden Ägists, „the show must go on", aber es liegt ein Hauch von okkulter Vergänglichkeit über der ganzen Oper, man ahnt den Tod hinter dem Schein, vom ersten Ton zum letzten.

In ihrer Hilflosigkeit greifen die Figuren zu Ritualen – wie immer ein harmloser Versuch, das mögliche eigene Scheitern zu kaschieren. Bei Elektra sind es die Totenbeschwörungsrituale, die sie täglich als Tempeltänzerin dem toten Agamemnon als Opfer darbringt. Sie ist gefangen in den ritualisierten immergleichen Bewegungsabläufen eines eingesperrten Tieres, in einem Käfig, aus dem es kein Entrinnen gibt, weil dieser Käfig die Seele gefangen hält.

Klytämnestra ritualisiert den Pomp des Hofstaates, der Lakaien, der Mitschwimmer und Mitesser und sie wird darin manchem heutigen politischen Herrscher nicht unähnlich.

Ägisth pflegt die Jungbrunnen-AntiAging-Rituale: Fitnesstudio, Pillen, Viagra, Muntermacher, Ginseng.

Deshalb ergeben sich immer dann sehr schöne Momente in dieser Oper, wenn die Figuren aus ihren Ritualen heraustreten und menschlich werden, normal (‚lass uns Karten spielen, Mama!')

In diesen kleinen Momenten ahnen wir, dass es anders hätte kommen können. Hier ahnt man, dass Gerechtigkeit nicht durch Rache erreicht werden kann.

Rache produziert keinen Frieden. Rache ist unlebendig. Rache tötet, befreit aber den Rächenden nicht. Das ist ein Trugschluss. Rache gebiert Rache. Rache heißt auch, das Recht zurecht biegen zu müssen, um in der Gerechtigkeit zu sein. Da dies nicht so ohne weiteres möglich ist, braucht es wieder eine rituelle Erhöhung. Der an und für sich ungerechte Krieg wird als heilig deklariert, der einfache Soldat wird zum Heiligen Krieger und somit zu etwas Gutem. Und Elektra tanzt den heiligen Tanz der Priesterin, die Braut ist bereit für den Tod, für ihren Vater. Ihr und ihrer (vermeintlichen) Idylle steht nichts mehr im Weg.

Elektra will in die Agamemnon -Idylle ihres Vaters zurück:

Wo bist du, Vater? Hast du nicht die Kraft,
dein Angesicht herauf zu mir zu schleppen?
Ich will dich sehn, lass mich heute nicht allein!
Nur so wie gestern, wie ein Schatten, dort
im Mauerwinkel zeig dich deinem Kind!

Sie träumt einen Zustand, der war, der der einzig Richtige war. Die Ungerechtigkeit, die diese Idylle verbaut hat, zu sühnen, wird zu ihrer Lebensaufgabe.

Chrysothemis will in die Lebe-Idylle zurück, als sie noch ausgehen, feiern, Orgien abhalten durfte. Stur hält sie die Illusion aufrecht, man könnte eh wieder leicht ins normale Leben und ins private Glück zurück. Der ‚Status Quo ante' als Idylle.

Ich will heraus! Ich will nicht jede Nacht
bis an den Tod hier schlafen! Eh ich sterbe,
will ich auch leben! Kinder will ich haben,
bevor mein Leib verwelkt, und wärs ein Bauer,
dem sie mich geben, Kinder will ich ihm
gebären und mit meinem Leib sie wärmen
in kalten Nächten, wenn der Sturm die Hütte
zusammenschüttelt!

Klytämnestra

ich will nicht länger träumen.

wünscht sich nichts sehnlicher als die Pre-Alptraum-Idylle, als sie noch schlafen konnte und nicht terrorisiert wurde von den üblen Nachgesichtern. Sie muss ihren Schmerz betäuben, um ihrer Schuld nicht zu spüren. Sie würde sofort wieder morden, um ihren Frieden zu finden.

Sie hat geträumt,
ich weiss nicht, was, ich hab' es von den Mägden gehört,
sie sagen, dass sie von Orest, von Orest geträumt hat,
dass sie geschrien hat aus ihrem Schlaf,
wie einer schreit, den man erwürgt.

Orest schließlich, der Zur-Rache-Berufene, hat schon in seinem Namen eingeschrieben, was sein Schicksal ist: die Wiedergutmachung des Unrechts, die Wiederherstellung der – zumindest – politischen Idylle, die ihn als rechtmäßigen Herrscher vorsieht.

Zwischen dem Ist-Zutand und dem Soll-Zustand der erwünschten Idylle steht aber – für alle - ein Hindernis. Diese gilt es aus dem Weg zu räumen, will man zur vermeintlichen Idylle gelangen. Die Figuren kämpfen um die Wiederherstellung ihrer in der Vergangenheit liegenden Idylle. Sogar für den eher unscheinbaren Ägist, der zuerst die ungeliebten Kinder seiner jetzigen Lebensabschnittspartnerin aus dem Weg räumen muss, um zum eigentlichen ‚Fun' zu gelangen.

Zwischen Elektra und ihrem Seelenfrieden, der Wiedervereinigung mit ihrem Vater, steht der ungesühnte Mord, den Klytämnesta und Ägisth an Agamemnon begangen haben. Solange dieses Unrecht besteht, kann Elektra keine Ruhe finden. Minutiös hat sie die Tötung ihrer Mutter, ihre Leiden, ihre Schreie geplant, sich ausgemalt. Dafür lebt sie, das gibt ihr Kraft.

Klytämnestra hat Schuld auf sich geladen und wird von dieser nun gepeinigt.

Diese Träume müssen
ein Ende haben. Wer sie immer schickt:
ein jeder Dämon lässt von uns, sobald
das rechte Blut geflossen ist.

Sie ist physisch und psychisch am Ende, hält sich mühsam bei Kräften, mit Aufputschmitteln, Medikamenten, sie vegetiert, sie lebt nicht mehr. Ihre Neurosen ergeben sich aus der Unerreichbarkeit der Idylle, die sie erahnt. 2 große Schuldfragen geistern in ihrem Kopf in der Nacht: der schuldhafte Mord an ihrem Mann, der zu erwartende Mord an ihrem Sohn Orest. Ihre Kinder töten, um nicht selbst getötet zu werden! Das produziert Angst: Angst, dass Orest wieder kommt, und sie tötet, bevor sie ihn selber töten kann. Angst vor Elektra. Klytämnestra ahnt, dass die Träume sie nie mehr verlassen werden. Ihre einzige Hoffnung liegt bei Elektra, die wohl über Mittel gegen Träume verfügen könnte (und sei es nur Zuhören!). Dies ist zumindest die Erwartung der Klytämnestra.

Chrysothemis ist keine Lichtgestalt, sondern nur eine Zum-Schein-Heilige. Ihr Ziel, ihre Idylle ist klar:

Du bist es, die mit Eisenklammern
mich an den Boden schmiedet. Wärst nicht du,
sie liessen uns hinaus. Wär nicht dein Hass,
dein schlafloses, unbändiges Gemüt,
vor dem sie zittern, ah, so liessen sie
uns ja heraus aus diesem Kerker, Schwester!
Ich will heraus! Ich will nicht jede Nacht
bis an den Tod hier schlafen! Eh ich sterbe,
will ich auch leben! Kinder will ich haben,
bevor mein Leib verwelkt, und wärs ein Bauer,

Aber dazwischen steht wie eine Wand Elektra und ihr „unbändiges" Sein.

Wärst du nicht, sie ließen uns hinaus

Chrysothemis hat wohl das kleinste Problem von allen. Sie, die scheinbar immer weniger beachtet worden ist als Iphigenie - die andere Schwester -, als Elektra, als Orest; sie, die Brave, Unkomplizierte definiert nicht, nicht einmal sich selber, sie wird definiert von ihrer Umgebung, von ihrer Familie. Deshalb ist sie auch diejenige, die sich am schnellsten und leichtesten auf neue Umstände einstellen kann. Auch weil sie gelernt hat, ihre Wünsche, ihre Lust – aufs Leben, auf Kinder, auf Sex –, manchmal auch ihren Hass auf ihre Familie, in Cellophan zu verpacken. Und trotzdem: als Mitwisserin ist sie gehetzt, hin- und her gerissen zwischen Mutter und Schwester

Orest ist zunächst der Bruder, der verstoßene Sohn seiner Mutter, ein Mann ohne klare eigene Determination. Sein Schicksal „passiert" ihm, es ist halt so. Es ist Elektra, die ihm die mögliche Idylle aufzeigt, das Höhere hinter seinem Schicksal, und Orest so zum Heiligen Krieger macht.

Elektra:

Die Tat ist wie ein Bette, auf dem die Seele ausruht, wie ein Bett von Balsam, drauf die Seele ruhen kann.

Manfred Schweigkofler


"Heller Glanz der dunklen Tragik. Regisseur Manfred Schweigkofler schafft mit klaren Bildern eine berührende, ja fast beklemmende atmosphärische und dramaturgische Dichte... Die komplizierten Strukturen der Strauss'schen Musik öffnet Gustav Kuhn zu einem Klangteppich voll Leichtigkeit. "

Monika Brüggeler, Kronenzeitung, 17.01.2010

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"Ähnlich sieht es auch Angelo Foletto von der Mailänder Tageszeitung 'La Repubblica'. Die 'Elektra' sei eine gelungene Synthese aus ebenso ambitioniertem wie zeitgenössischem Regietheater und Strauss 'glühender Partitur'."

Dolomiten, Theater-"Dream-Team" überzeugt, 23.01.2010

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"Vorteilhaft für die musikalische Umsetzung präsentierte sich die Raumlösung in der Regie von Manfred Schweigkofler (...) bot eine kleine, nur mit einem an die Freud´s che Psychoanalyse gemahnenden Stuhl bestückte Spielfläche Raum für das kammerspielartig reduzierte Geschehen."

Wolfgang Kutzschbach, Opernglas, März 2010

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„Und so warteten Regisseur Manfred Schweigkofler und seine Bühnenbildner mit einem raffinierten Konzept auf, das der logistischen Herausforderung mit einer Innovation – präziser: mit einem Rückgriff auf das antike Griechenland begegnete. Wie ein griechischer Chor ist der gigantische Orchesterapparat im Halbrund des Auditoriums hinter den Sängern gruppiert, und zwar sichtbar – wenn auch nur als konturlose bedrohliche Masse hinter einem schwarzen Schleier."

Carlo Vitali, Opernwelt Das internationale Opernmagazin, März 2010

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"Schweigkoflers Inszenierung habe die Opernneulinge und Jugendlichen im Saal verzaubert und auch Kenner der Materie überzeugt. Insgesamt, so Moreni, ein Opernabend, 'der zu keinem Moment Gefahr lief, langweilig zu werden'."

Dolomiten, Theater-"Dream-Team" überzeugt, 23.01.2010

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"Auch das - in der Regel kritische Fachblatt 'Il giornale della musica' ist voll des Lobes: ´Den Applaus und die Zustimmung des Publikums haben sich Schweigkofler und Kuhn für ihre intensive und vielschichtige Elektra verdient'."

Dolomiten, Theater-"Dream-Team" überzeugt, 23.01.2010

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„Auf zwei rasch verstrichene Stunden regloser Konzentration folgten fünfzehn Minutenfrenetischen Beifalls."

Carlo Vitali, Opernwelt Das internationale Opernmagazin, März 2010

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